Inhalt anspringen

„Die wichtigste Ressource ist der Mensch in der Polizei“

24. Oktober 2023

Im aktuellen Forschungsprojekt "ZuRecht – Die Polizei in der offenen Gesellschaft (Öffnet in einem neuen Tab)" untersuchen die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und die Deutsche Hochschule der Polizei (DHPol) die Rolle der Polizei in der offenen Gesellschaft. Schwerpunkte der Forschung sind unter anderem die Interkulturellen Kompetenzen (IK) der Polizei, ihre Nachwuchswerbung und die damit verbundenen Herausforderungen. Das Team der Vernetzungsstelle polizeiliche Sicherheitsforschung (VEST SiFo) hat dazu mit dem Projektleiter an der DHPol, Univ.-Prof. Dr. Stefan Jarolimek, Leitung Fachgebiet II.5 – Kommunikationswissenschaft, gesprochen.

VEST SiFo: Was ist das Fazit Ihrer Forschung über interkulturelle Kompetenzen in der Aus- und Fortbildung der Polizei?

Stefan Jarolimek: Das Fazit in dem Bereich zeigt erstens eine unglaubliche Heterogenität, wie eigentlich immer, wenn es um Polizei geht und um Forschung. Wir haben ein Spektrum von Aussagen wie: "ein Besuch in der Moschee ist der Inhalt zu interkultureller Kompetenz" bis zu "fünf Stunden in der ganzen Ausbildung und einige Fortbildungen." Das ist unglaublich wenig. Das zeigt sich auch bei der Wirkungsanalyse in diesem Dreischritt: Vor dem Training sind die Polizist:innen sehr gespannt. Direkt nach dieser Trainingsphase sagen die: "Oh, das hat mir noch mal einen Blick eröffnet." Und dann nach einer Praxisphase in einigen Monaten wird deutlich, dass dieses Urteil wieder zurückgeht.

Das heißt ja nicht, dass ich jede Woche die Interkulturellen Kompetenzen brauche, sondern dass ich einmal sensibilisiert werde dafür und dann quasi bei den Erlebnissen, die ich in der Woche habe, darüber reflektiere: Jetzt nehmen wir uns mal Freitag zwei Stunden und besprechen das in einer professionellen Supervision. Was häufig geschieht nach belastenden Einsätzen ist der interne Austausch im Kollegenkreis. Das ist schon gut. Aber dann nochmal professionell angeleitet darüber zu sprechen wäre ein Stück weiter, um neben diesem einmaligen Kompetenzerwerb zu verhindern, dass es zu Einstellungsveränderungen kommt. 

VEST SiFo: Dem Untertitel Ihres Projekts folgend: Inwieweit ist die Polizei denn eine offene und in der pluralistischen Gesellschaft verankerte Organisation?

Stefan Jarolimek: Im Bereich der so genannten interkulturellen Kompetenztrainings zeigt sich schon, dass die Organisation Polizei in gewisser Weise ein bisschen träge ist. Dieses Thema interkulturelle Kompetenz, da wurde lange Zeit die Relevanz nicht gesehen. Und jetzt sehen wir natürlich, dass dieses Thema durchaus stark konkurriert mit vielen anderen Ausbildungsthemen und dass das eigentlich ein Problem ist. Die Ausbildungsinhalte, die in den IK-Trainings vermittelt werden, die werden dann eigentlich in der Praxis von den so genannten Bärenführern wieder aufgefressen. Auch das kam aus den Experteninterviews ganz stark hervor. Die vermitteln sozusagen einen Theorie-Praxis-Gap. Und da ist es sehr schwierig, mit einzelnen Ausbildungsinhalten dagegen vorzugehen. Also indem ich jemanden in so einen Container reinsetze und sage: "jetzt hast du es einmal gehört, jetzt weißt du das". Das ist nicht zielführend. Bei uns zeigt sich in allen Teilbereichen, auch in den teilnehmenden Beobachtungen im Wach- und Wechseldienst, dass bestimmte Stereotype vorherrschen. Ansonsten können wir aus unseren Erkenntnissen nicht sagen, ob die Polizeien sehr pluralisiert sind oder nicht.  

VEST SiFo: Wie macht die Polizei ihre Nachwuchswerbung?

Stefan Jarolimek: Wir haben gefragt: wie strategisch läuft die Nachwuchswerbung ab? Wir haben bundesweit die Dokumente von 18 Polizeien angefragt und ich glaube es kamen um die 220 Dokumente zurück, von einzelnen Word-Dokumenten bis zu PowerPoint-Folien. Also alles Mögliche, querbeet. Allein aus dieser Schriftlage kann man sagen, es waren 2019/2020 nur zwei Polizeien, die wirklich strategisch arbeiteten.  
Das Bild hat sich allerdings ein bisschen aufgelöst in den Interviews. Das heißt, hier wurde deutlich: die Polizeien arbeiten sehr viel strategischer als sie es dokumentieren. Da war es schon gut die Hälfte, die wirklich ganz klare strategische Ansätze verfolgte – von der Analyse, der Positionierung, dem Instrumenteneinsatz bis hin zur Evaluation. Bei den anderen ist es auch aufgrund finanzieller und personeller Ressourcen wirklich knapp und das sieht man vor allem bei den kleinen Polizeien.

VEST SiFo: Können Sie erläutern was mit strategischer Kommunikation gemeint ist?

Stefan Jarolimek: Strategisches Denken heißt eigentlich: ich mach eine ehrliche Analyse. Ich erreiche meine Zielgruppe der Abiturient:innen nicht durch eine Anzeige in der Tageszeitung. Damit erreiche ich vielleicht noch die Generation der Eltern, wahrscheinlich eher die Großeltern. Das ist verbranntes Geld. Ich erreiche die junge Zielgruppe irgendwie über YouTube, über Social Media. Dann muss ich auch zwischendurch evaluieren: Funktioniert es oder funktioniert es nicht? Muss ich irgendwo nachsteuern? Also dieses strategische Denken mit Zielen, klarer Positionierung und entsprechenden Instrumenten. Und nicht so ein Schnellschuss aus der Hüfte. 

VEST SiFo: Was müsste sich konkret in der Nachwuchswerbung ändern? 

Stefan Jarolimek: Ich glaube, dass jetzt die Generation Z, und in ein paar Jahren die Generation Alpha, andere Vorstellungen von ihrem Leben und Beruf hat. Bestimmte Dinge fordern sie einfach. Wir sind auf dem Arbeitnehmermarkt. Das haben viele, glaube ich, nicht verstanden. Wir sind nicht mehr auf dem Arbeitgebermarkt, wo die Arbeitgeber sich alles aussuchen können, sondern alle Organisationen suchen händeringend. Natürlich gibt es die Unterschiede zwischen großen und kleinen Polizeien und diese 18 Polizeien sind in stetiger Konkurrenz. Und dazu kommen ja auch noch ähnliche Berufe, wie die Bundeswehr, die auch Personal sucht. Die haben, weil sie zentralisiert sind, auch viel mehr finanzielle Mittel. Vielleicht bekommen wir das nie hin, so eine zentralisierte Nachwuchswerbung für die Polizei. Es könnte aber ein Mittel sein.

VEST SiFo: Ist es für die Polizei ein Vor- oder ein Nachteil, sich gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund zu öffnen?

Stefan Jarolimek: Ich sehe nur Vorteile, ich sehe keine Nachteile. Wir haben mittlerweile eine offene, plurale Gesellschaft. Wir haben unglaublich viele Menschen mit Migrations-geschichte. Und diese Menschen, die leben häufig auch in zweiter, dritter Generation in Deutschland, sind hier also geboren. Die bringen häufig eine Sprachkompetenz mit, vielleicht aber auch zu ihrem kulturellen Hintergrund eine Reflexionsmöglichkeit. Sie bringen auch das Wissen über verschiedene Religionen mit. Ich glaube, die Polizei müsste diese Kompetenzen noch mehr nutzen. 

VEST SiFo: Wie transferieren Sie Ihre Projektergebnisse in die Praxis?

Stefan Jarolimek: Was wir gemacht haben ist, dass wir einerseits die Ergebnisse, beispielsweise zu den IK, für das jeweilige Land zurückgespiegelt haben in einem eigenen Dokument, sowohl mit einer Managementfassung als auch mit den Tabellen und Ergebnissen. Wir hatten die Abschlusstagung im Mai 2023 in Berlin und über die Stiftung Mercator politische Ansprechpartner:innen eingeladen. Wir haben einen großen Beirat gehabt, der teilweise prominent besetzt war mit vielen Migrationsforscher:innen, Polizist:innen, polizeikritischen Akteuren aus der Kommunikationsstrategie und so weiter. Neben einem Abschlusssammelband, der noch als Open Access erscheinen wird, streuen wir auch Aufsätze und halten Vorträge auf verschiedenen Tagungen. Wir hatten während der COVID-19-Pandemie auch Podcasts gemacht. Wir machen im Herbst 2023 an der DHPol eine Online-Fortbildung mit dem Thema Migration als Schwerpunkt. Also ein bunter Blumenstrauß, um die verschiedenen Zielgruppen zu erreichen. 

VEST SiFo: Haben Sie noch weitere Anmerkungen oder Gedanken, die Sie der Leserschaft gerne mitgeben möchten?

Stefan Jarolimek: Was wollen wir erreichen? Also ich glaube, die sozialwissenschaftliche Forschung ist extrem wichtig. Und häufig wird das meines Erachtens zu gering gewertet im Vergleich zu den technischen Lösungen, die ich an- und ausschalten kann. Die wichtigste Ressource, die wir haben, ist der Mensch in der Polizei mit seinen sozialen Kompetenzen. Und die ist wichtiger als die neue Innovation am Streifenwagen oder was weiß ich. Das ist schöner zu präsentieren für Drittmittelgeber, wenn ich da was stehen hab was fliegt, was blinkt oder Ähnliches. Aber eigentlich sind die Themen der sozialwissenschaftlichen Forschung, und damit meine ich nicht nur Kommunikation, sondern auch Soziologie, Politik oder Psychologie, extrem wichtig für die Polizei. Punkt. 


VEST SiFo: Herr Univ.-Prof. Dr. Jarolimek, vielen Dank für das Gespräch! 

Über "ZuRecht"

Das Forschungsprojekt "ZuRecht – Die Polizei in der offenen Gesellschaft" wird von der Stiftung Mercator gefördert und läuft seit dem 1. März 2019 und bis Ende 2023. 

Webseite: www.projekt-zurecht.de  (Öffnet in einem neuen Tab) 

EN

Erläuterungen und Hinweise

Bildnachweise