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Prävention und Hilfsmöglichkeiten bei häuslicher Gewalt

Ein Interview mit den beiden Wissenschaftlerinnen Dr. Catharina Vogt und Stefanie Horn anlässlich des Internationalen Tages zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen

20. November 2023

Fast alle zwei Minuten wird in Deutschland ein Mensch Opfer häuslicher Gewalt. Betroffen sind überwiegend Frauen und Mädchen. Die Wissenschaftlerinnen Dr. Catharina Vogt und Stefanie Horn an der Deutschen Hochschule der Polizei (DHPol) forschen zu Prävention und Hilfsmöglichkeiten. Anlässlich des "Internationalen Tages zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen" am 25. November geben die beiden Forscherinnen einen Einblick in ihre Arbeit.  

Das Lagebild Häusliche Gewalt, welches im Juli 2023 vorgestellt wurde, zeigt, dass die Opferzahlen im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 8,5 Prozent gestiegen sind. Opfer sind überwiegend Frauen. Woran forschen Sie in diesem Zusammenhang?

Catharina Vogt: "In unserem Fachgebiet 'Kriminologie und interdisziplinäre Kriminalprävention' arbeiten wir in mehreren Forschungsprojekten zum Thema häusliche Gewalt. Das Projekt GaTe (Polizeiliche Gefährdungsanalysen zu Tötungsdelikten in Partnerschaft und Familie) beschäftigt sich mit der Prävention von Intimiziden, also Tötungsdelikten in Partnerschaften und Ex-Partnerschaften. Diese kommen in Deutschland erschreckend häufig vor: Beinahe jeden Tag versucht ein Mann seine ehemalige Partnerin zu töten. Dabei finden diese Taten – entgegen der medialen Darstellung – nicht als spontane Beziehungsdramen statt, sondern haben in der Regel einen längeren Vorlauf. Aus der Arbeit anderer Forscher:innen wissen wir: Es können typische Verhaltensweisen von Täter:innen identifiziert werden, die auf eine Planung der Tat oder auf eine grundsätzliche Tötungsbereitschaft hinweisen. Ziel unseres Projektes ist es, solche Hinweise auf eine spätere Tat insbesondere auf Verhaltensebene der Täter:innen zu identifizieren. Dafür greifen wir auf Erkenntnisse der Amok- und Terrorismusforschung zurück, die unter dem Begriff 'Leaking' verhaltensbasierte Hinweise auf eine spätere Tat untersuchen. Gemeinsam mit Kolleg:innen des Polizeipräsidiums Ravensburg und der Psychologischen Hochschule Berlin arbeiten wir in einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projektverbund."

Stefanie Horn: "Die Zusammenarbeit mit den Praxispartner:innen ist für uns als Forscherinnen eine super Gelegenheit, um unsere Forschungsergebnisse direkt in der Praxis zu implementieren. Die Erkenntnisse aus dem Projekt sollen es insbesondere Polizist:innen ermöglichen, gefährliche Entwicklungen zu erkennen und die Ernsthaftigkeit von Warnsignalen zu bestimmen. Wir planen im Sommer 2024 an der DHPol sowie anderen Standorten Schulungen für Polizist:innen. Dort können wir die Ergebnisse unserer Forschung direkt in der Praxis schulen. Parallel entwickeln unsere Kolleginnen in Ravensburg auch eine E-Learning Plattform, die es Polizist:innen ermöglicht sich weiterzubilden. Dadurch soll ihre Entscheidungs- und Handlungssicherheit im Bereich schwerer häuslicher Gewaltdelikte erhöht werden. Catharina Vogt und ich konzentrieren uns in der Arbeit auf die spezifischen Risiken von Frauen im Trennungskontext. Um eine Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis zu ermöglichen, halten wir immer wieder auch Vorträge vor Praktiker:innen, wie bspw. dem Netzwerk Interventionsstellen gegen Partnergewalt in Baden-Württemberg." 

Neben der Prävention häuslicher Gewalt spielen Hilfsangebote für Opfer eine wichtige Rolle. Welchen Beitrag kann Wissenschaft hier leisten?

Catharina Vogt: "Es geht zum Beispiel darum, Barrieren, die zwischen Opfern häuslicher Gewalt und ihrem Weg zum Hilfesystem stehen, zu identifizieren und bestenfalls zu beseitigen – immer mit dem Ziel, dass Betroffene rechtzeitig Unterstützung erhalten. Im EU-Projekt IMPROVE (Öffnet in einem neuen Tab) (Improving Access to Services for Victims of Domestic Violence by Accelerating Change in Frontline Responder Organisations) forschen wir bis Herbst 2025 mit 16 Partnerorganisationen zu diesem Thema. Konkret entwickeln wir einen Chatbot, der Opfer häuslicher Gewalt darin unterstützt in Kontakt mit Hilfsangeboten zu kommen. Dieses EU-Projekt koordinieren Professor Joachim Kersten und ich hier von der DHPol aus.

Im bereits abgeschlossenen Projekt IMPRODOVA (Öffnet in einem neuen Tab) (Improving Frontline Responses to High Impact Domestic Violence) wurde in acht europäischen Ländern analysiert, wie Opfern häuslicher Gewalt bei einem Erstkontakt mit dem Hilfesystem besser geholfen werden kann. Das kann die Polizei, der medizinische oder soziale Sektor sein. Hier haben wir eine internetbasierte Trainingsplattform (Öffnet in einem neuen Tab) für diese drei Professionen aufgebaut. Aktuell wird die Plattform für den Justizbereich erweitert. Durch die EU-weite Vernetzung können wir innovative Lösungsansätze erforschen und voneinander lernen. Besonders interessant ist dabei das Thema der institutionenübergreifenden Zusammenarbeit – die Prävention und Bekämpfung häuslicher Gewalt liegt nicht nur in der Verantwortung der Polizei. Durch eine gute Zusammenarbeit mit weiteren 'Ersthelfenden' kann Betroffenen oft besser geholfen werden."

Neben Frauen sind auch Mädchen häufig Opfer häuslicher Gewalt. Welche Rolle spielt dies in Ihrer Arbeit?

Stefanie Horn: "In meiner Arbeit ist mir die Verbindung zwischen Wissenschaft und Praxis wichtig. Aus diesem Grund arbeite ich nicht ausschließlich als Wissenschaftlerin, sondern bin zusätzlich als familienpsychologische Sachverständige für das Familiengericht tätig. In dieser Rolle ist es meine Aufgabe das Gericht zur Frage des Kindeswohles zu beraten. Hier sehe ich immer wieder die Folgen von häuslicher Gewalt auf Frauen und Kinder. Dabei zeigt sich leider häufig, dass innerfamiliäre Gewalt ein Thema ist, dass sich über mehrere Generationen in Familien fortsetzt. Mir wird bei der Arbeit immer wieder bewusst, dass wir als Gesellschaft die Aufgabe haben, Betroffenen genügend Hilfen zur Seite zu stellen, damit diese sich aus dem Kreislauf von Gewalt befreien können. Diese Arbeit hat mich auch dazu inspiriert mich in meiner Promotion mit den Auswirkungen schwerer partnerschaftlicher Gewalt auf Kinder auseinander zu setzen."

Was wünschen Sie sich für die Zukunft Ihrer Arbeit?

Stefanie Horn: "Als Forscherin im Bereich häuslicher Gewalt wünscht man sich eigentlich immer, dass die eigene Arbeit nicht mehr notwendig sein wird. Leider ist das sehr unwahrscheinlich. Deshalb hoffe ich, dass es uns gelingen wird, möglichst viele unserer Ergebnisse in der Praxis zu implementieren, um so Opfern von häuslicher Gewalt schneller und besser helfen zu können." 

Catharina Vogt: "Es ist auffällig, wie wenig für Täter:innen getan wird. Da wünsche ich mir mehr Forschung und Interventionsangebote. Wenn wir intakte Familien haben, die ihre Konflikte konstruktiv austragen, dann glaube ich, hätten wir in sämtlichen anderen Bereichen unsere Gesellschaft ein präventives Potential freigelegt. Dazu kann auch ein soziales Umfeld beitragen – Nachbarschaft, Freund:innen, Kolleg:innen, die sich informieren und Betroffene unterstützen."

 

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