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Clankriminalität – Begriffskomplexität birgt Herausforderungen für polizeiliche Arbeit

10. Mai 2023

"Clankriminalität" ist ein in der medialen Diskussion häufig verwendeter Begriff – aber was verbirgt sich dahinter und welche Herausforderungen ergeben sich im Sprachgebrauch wie auch für die polizeiliche Arbeit? Diesen und weiteren Forschungsfragen widmet sich ein Team im Fachgebiet Kriminologie und interdisziplinäre Kriminalprävention (Öffnet in einem neuen Tab) der Deutschen Hochschule der Polizei (DHPol) in Münster. Dr. Jens Struck, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet, gibt Antworten auf zentrale Fragen. 

Die sogenannte Clankriminalität gehört zu den meistdiskutierten Kriminalitätsfeldern in Deutschland. Womit setzen Sie sich in Ihrer Forschung in diesem Zusammenhang konkret auseinander?

Jens Struck: Die zentrale Frage lautet: Was wird überhaupt – je nach Institution – unter diesem diffusen Begriff 'Clankriminalität' verstanden? Unser Projektteam an der DHPol spricht stattdessen in der Regel von Kriminalität und Kriminalisierung im Kontext großfamiliärer Strukturen. Neben dieser zentralen Frage setzen wir uns mit Handlungsansätzen und Kooperationsformen auseinander, die sich auf dieses Phänomen beziehen. Dies betrifft etwa Ansätze von Polizei und Staatsanwaltschaften oder kommunalen Sozial-, Kontroll- und Aufsichtsbehörden. Aber auch von Akteur:innen aus dem Bildungswesen, der Zivilgesellschaft sowie von Rechtsanwält:innen. 

Hierfür haben wir seit 2021 über 60 Personen interviewt sowie Gruppendiskussionen veranstaltet. Zudem haben wir im Rahmen einer Forschungssynthese, also einer systematischen Überblicksstudie, 104 Publikationen zu sogenannter Clankriminalität ausgewertet. Darüber hinaus haben wir uns angeschaut, wie der Begriff medial und politisch verwendet wird.

Was sind zentrale Erkenntnisse Ihrer Forschung?

Jens Struck: Der Begriff 'Clan' wird oft gleichbedeutend mit einer arabisch-türkischen 'Großfamilie' verwendet. Er kombiniert also eine Ethnie mit einer Form von Verwandtschaftsbeziehung. Der Begriff hat im deutschen Sprachgebrauch zudem einen negativen Beiklang, oft wird bereits mit ‚Clan‘ Kriminalität in Verbindung gebracht. In Presseveröffentlichungen liest man über 'Clankriminalität' in der Regel im Zusammenhang mit polizeilichem Vorgehen in Form von Kontrollen, Durchsuchungen, Festnahmen oder der Veröffentlichung von Lagebildern. Das zeigt: Eigentlich alles, was man über 'Clankriminalität' weiß, ist geprägt durch polizeiliche Kommunikation. Sowohl medial als auch in parlamentarischen Dokumenten oder politischen Pressemitteilungen wird 'Clankriminalität' in Verbindung mit Organisierter Kriminalität gebracht. Dabei ist dies weder ein notwendiges Kriterium in der bundesweit abgestimmten polizeilichen Definition, noch in Fachveröffentlichungen oder unseren Interviews. Mit dem Begriff 'Clankriminalität' werden unterschiedlichste Formen abweichenden Verhaltens zusammengefasst, wie Organisierte Kriminalität, Allgemeinkriminalität, aber auch nicht-kriminelle Handlungen wie Ordnungswidrigkeiten, Incivilities – als problematisch wahrgenommenes Verhalten im öffentlichen Raum – oder auch informelle Formen der Konfliktbeilegung, die gemeinhin als 'Paralleljustiz' bezeichnet werden.

Welche Herausforderungen ergeben sich aus Ihren Forschungserkenntnissen für die polizeiliche Arbeit?

Jens Struck: Ungeklärt bleibt die funktionale Beziehung zwischen 'Clan' und 'Kriminalität'; Wird Kriminalität etwa durch ein Kollektiv, also eine Gruppe, gemeinsam begangen, ähnlich einer Bande oder einer kriminellen Vereinigung? Wird sie im Interesse eines Kollektivs verübt? Oder handelt sich um Kriminalität einzelner Personen, die in der Wahrnehmung zu einem Kollektiv gehören, das man 'Clan' nennt? Daraus ergeben sich diverse Herausforderungen für die polizeiliche Arbeit, wenn ungeklärt bleibt, welche konkreten Fälle einschlägig sein können oder sollen. Dies gilt schließlich auch für die statistische Erfassung in Form von Lagebildern. In Nordrhein-Westfalen wird versucht, Clankriminalität über die Nachnamen von Tatverdächtigen zu identifizieren, in Niedersachsen über intransparente 'Auswertemerker', in Berlin über  'ermittlungsunterstützende Hinweise'. Es ist äußerst fragwürdig, ob man der Komplexität des Zustandekommens von verschiedensten Straftaten mit diesem Vorgehen gerecht wird. Hinzu kommt: In postmigrantischen Gemeinschaften wurden bereits oft schlechte Erfahrungen mit staatlichen Institutionen gemacht. Bestehende Maßnahmen der Repression – wie die sogenannte Strategie der tausend Nadelstiche, also anlasslose Verbundkontrollen – können unter anderem zu einem weiteren Vertrauensverlust führen. Dies könnte im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung Abschottungstendenzen begünstigen, die man bestimmten Gemeinschaften bereits unterstellt. Insofern sind eine polizeiliche Reflexion des Konzepts sowie entsprechender Handlungsansätze notwendig.

Weitere Informationen: 

Das Hegemonie-Projekt der sogenannten Clankriminalität. Eine Diskursanalyse auf Basis qualitativer Interviews (Öffnet in einem neuen Tab)

'Clankriminalität' – eine Literatursynthese zu abweichendem Verhalten im Kontext großfamiliärer Strukturen (Öffnet in einem neuen Tab)

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